Pauken 2.0 mit lernfähiger Software

Mit dem Internet lässt es sich gut lernen. Deshalb werden an der ETH Zürich aktuell mehrere Web-Lehrangebote entwickelt und evaluiert. Darunter adaptive Lernprogramme, Apps und weltweit zugängliche Video-Vorlesungen.

Vergrösserte Ansicht: Internetbasierte Selbstlerninstrumente ergänzen zunehmend den klassichen Unterricht im Hörsaal (Grafik: ETH Zürich)
Internetbasierte Selbstlerninstrumente ergänzen zunehmend den klassischen Unterricht im Hörsaal (Grafik: ETH Zürich)

Harvard, Stanford, Berkeley tun es – und auch Cambridge und Toronto sind dabei. Keine namhafte Universität, die in den vergangenen Jahren nicht in «MOOC»-Euphorie ausgebrochen wäre. MOOC steht für «Massive open online courses». Über eigene Youtube-Kanäle oder spezialisierte Online-Plattformen machen Universitäten ihre Vorlesungen Lernhungrigen auf der ganzen Welt kostenlos zugänglich. Auch der Rektor der ETH Zürich, Lino Guzzella, beschloss 2012, während eines zweijährigen Projekts Erfahrungen mit solchen neuen, webbasierten Lehrformaten zu sammeln.

Der erste MOOC-Anbieter der ETH Zürich ist Robotikprofessor Roland Siegwart, der seine Vorlesung «Autonomous Mobile Robots» im laufenden Frühlingssemester über die Open Source-Kursplattform «edx.org» für Studierende auf der ganzen Welt geöffnet hat. Bereits nächsten Herbst sollen zwei weitere ETH-MOOCs hinzukommen. «Sie sind ein wertvolles Kommunikationsinstrument, wenn es darum geht, die Hochschule und deren Kursangebot international bekannt zu machen», erklärt Andreas Reinhardt vom Stab Lehrentwicklung und -technologie (LET). «Die ETH Zürich will die neuen interaktiven Möglichkeiten des Internets aber in erster Linie zur Qualitätssteigerung des Lehrangebots an der eigenen Hochschule nutzen.»

Reinhardt und sein Team entwickelten deshalb das eigene Lehrformat «TORQUE» (Tiny, Open-with-Restrictions courses focused on Quality and Effectiveness). Solche Onlinekurse sind lediglich für alle an einer Schweizer Hochschule eingeschriebenen Studierenden zugänglich. «Für uns sind die TORQUE ein Versuchsfeld», sagt Reinhardt. Zu einem späteren Zeitpunkt könnten diese Lehrangebote mit wenig Aufwand einem weltweiten Publikum zugänglich gemacht werden.

Weniger Präsenz – mehr Interaktion

Derzeit bieten drei ETH-Professoren und eine Professorin TORQUE an: Renate Schubert einen Grundkurs in Ökonomie (ca. 500 Studierende), Danilio Pescia einen solchen in Physik (ca. 50 Studierende), Markus Kalisch und Lukas Meier einen Selbstlernkurs für die Statistik-Software R (300 bis 500 Studierende) und John Lygeros den Kurs «Signals and Systems II» (160 Studierende). Zusätzlich zu den Vorlesungen an der ETH haben die Studierenden je nach Kurs Zugang zu gefilmten Vorlesungssequenzen, animierten Folien, Übungen, Onlinequizzes und Prüfungsaufgaben. Über Foren können sie sich mit ihren Kameraden und den Professorinnen austauschen.Wieviel Lernstoff sie vom Hörsaal ins Internet verlagern, ist den Dozierenden überlassen.

Renate Schubert zum Beispiel konnte dank TORQUE ihre Vorlesungszeit halbieren. Andreas Reinhardt vom LET betont jedoch, das es nicht das Ziel sei, den persönlichen Kontakt zwischen Studierenden und Professoren zu reduzieren – im Gegenteil: «Der Kontakt soll intensiviert werden.» Wenn die Studierenden aber bereits mit Vorwissen, das sie sich über Online-Materialien angeeignet haben, in die Vorlesung kommen, kann die Präsenzzeit besser für individuelle Fragen und interaktives Lernen genutzt werden. Für die Studierenden bleibt der Aufwand für einen Semesterkurs indes gleich.

Adaptives Lernen

Laut Reinhardt nutzen bereits heute hunderte von ETH-Dozierenden Onlineinstrumente für die Lehre. Innerhalb weniger Jahre sind sie von einem Randphänomen zum Standard geworden. Derzeit verwaltet die ETH Zürich ihre Online-Lehrangebote über die weltweit genutzte Open Source-Plattform Moodle. Dort finden die Studierenden sämtliche Unterlagen fürs Selbststudium; linear organisiert und nach wöchentlichem Vorlesungsthema gruppiert.

Einen etwas anderen Weg schlägt Professor John Lygeros ein. In einem Pilotprojekt stellt er sämtliche Lernunterlagen für seine «Signals and Systems II»-Vorlesung zusätzlich zu Moodle auch auf die Online-Plattform «Albie». Albie wurde von Lygeros‘ Postdoc Sean Summers entwickelt. Das Programm ermittelt mithilfe zweier Algorithmen den Lernfortschritt der Studierenden und passt den Lernstoff diesem automatisch an. Bei diesem «adaptiven Lernen» wird der Stoff einer Vorlesung nicht mehr chronologisch übers Semester hinweg abgearbeitet. Vielmehr können Studierende nach ihren individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen pauken. Die ersten Rückmeldungen der Studierenden seien durchwegs positiv, versichert Summers.

Reinhardt gibt jedoch etwas zu bedenken: «Solche Systeme sind nicht nur eine technische Innovation, sondern umfassen auch eine neue Lernkultur.» Mehr Selbststudium und ein zunehmend interaktiver Präsenzunterricht brächten zwar mehr Lernfreiheit mit sich, doch daran müssten sich die Studierenden erst gewöhnen. Ob adaptive Systeme diesen Prozess noch besser unterstützen, werde sich zeigen. Ende Jahr werden deshalb alle bis dann durchgeführten TORQUE von Reinhardts Team evaluiert. Mit den gesammelten Erfahrungen will das Rektorat die Qualität des Online-Lehrangebots schliesslich in Zukunft weiter verbessern.

«EduApp» hat sich bewährt

Die 2012 lancierte «EduApp» ist ein weiteres Onlineangebot der ETH Zürich. Studierende haben damit Zugriff auf ihren persönlichen Stundenplan, ihre Lernziele und aktuelle Veranstaltungen. Zudem vereinfacht die App die Kommunikation mit den Dozenten. Die App hat sich laut Andreas Reinhardt etabliert und bewährt. Einzig die Funktion für Rückmeldungen während des Semesters nutzen Studierende und Dozierende noch wenig, sagt Reinhardt. Obschon damit Dozenten die die Vorlesungen bereits während des Semesters besser den Bedürfnissen der Studierenden anpassen könnten. Semesterfeedback soll deshalb in Zukunft noch mehr Bedeutung geschenkt werden, indem die App-Entwickler die Prozesse vereinheitlichen und vereinfachen.

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