Von sozialen Medien und Machtkonzentration

Netzwerkeffekte befördern eine bedenkliche Macht­konzen­tra­tion innerhalb der sozialen Medien. Standards böten einen Ausweg, erfordern aber Initiative der Nutzer, bloggt Ulrik Brandes.

Ulrik Brandes

Soziale Medien sind innert weniger Jahre von einer Randerscheinung zu einem zentralen Bestandteil unseres Alltags aufgestiegen. Anders als etwa nach der Massenverfügbarkeit des Autos, des Fernsehers oder des Internets, ist dieser Aufstieg von einer starken Tendenz zur Monopolbildung begleitet. Blendet man chinesische Dienste wie WeChat, QQ oder Tik Tok einmal aus, dann haben Facebook (einschliesslich Instagram und WhatsApp), YouTube, LinkedIn und Twitter in ihren jeweiligen Angebotsnischen dominante Vorrangstellungen erreicht.

Social Media Symbole auf einem Smartphone-Bildschirm
Je mehr Nutzer, desto mehr Nutzen: Die Attraktivität sozialer Medien steigt mit ihrem Marktanteil. (Bild: easy camara / Shutterstock)

Netzwerkeffekte und Monopolisierung

Konkurrenz gibt es in den Anfangsphasen solcher Dienste durchaus. Doch die Attraktivität einer Plattform steigt mit der Zahl derer, die man darüber erreichen kann. Wenn von höheren Marktanteilen sowohl Anbieter als auch Kunden profitieren, sprechen Ökonomen von einem Netzwerkeffekt. Eine Konzentration auf den grössten Anbieter ist dann fast zwangsläufig. Selbst Google hat sich mit Google+ nicht mehr gegen Facebook durchsetzen können und stellt den Dienst zum April ein.

Aber was spricht eigentlich gegen ein Monopol, wenn das angebotene Produkt doch gar nichts kostet? Ausserdem – so drückt es beispielsweise der Gründer, Hauptanteilseigner und Vorsitzende von Facebook, Mark Zuckerberg, frei von Scham aus – bestehe das Ziel seines Unternehmens ja lediglich darin, «den Menschen zu helfen, mit Familie, Freunden und Gemeinschaften in Kontakt zu bleiben».  Da fragt man sich doch, warum Facebook und andere Dienste in letzter Zeit so viel schlechte Presse bekommen.

Werbung, Manipulation und Preisdiskriminierung

Die Geschäftsmodelle (westlicher) sozialer Medien beruhen in erster Linie auf Werbung. Es trifft sich daher gut, dass Teilnehmende, so wieder Zuckerberg, gerne auf sie zugeschnittene Botschaften erhalten. Umfragen kommen zwar zu einem anderen Ergebnis, verkaufen lässt sich personalisierte Werbung aber trotzdem besser. Der Umsatz wächst seit Jahren zweistellig und wird spätestens nächstes Jahr die Marke von weltweit 100 Milliarden Franken überschreiten.

Zwei Faktoren treiben dieses Wachstum an: der Grad der Mediennutzung und die Wirksamkeit der Werbung. Für beides ist es hilfreich, möglichst viel über das Verhalten von Nutzerinnen und Nutzern zu wissen und, besser noch, es steuern zu können. Dass Kurznachrichten sich mal eben zwischendurch senden und lesen lassen, führt zu schnellen Belohnungsempfindungen und damit höherer Nutzung. Die richtige Produktpräsentation im richtigen Moment löst mit höherer Wahrscheinlichkeit einen Kaufreiz aus. Beide Effekte werden durch soziale Anreize noch verstärkt.

«Regulierung könnte Vertrauen zwar ersetzen, hält mit der rasanten Entwicklung der sozialen Medien aber nicht Schritt.»Ulrik Brandes

Aufmerksamkeitsbindung und gezielte Werbung sind jedoch nur ein Anfang. Verhaltensinformationen wie Suchanfragen, Interessen oder Bewegungsprofile werden zusätzlich ausgewertet und auch an andere Interessenten weiterverkauft.

Politische Einflussnahme etwa erfolgt über Mikrotargeting, bei dem aus abgeleiteten Neigungen persönlich zugeschnittene Botschaften entstehen. Merkwürdigerweise konzentrierte sich die Aufregung um Cambridge Analytica weniger auf die Einflussnahme im US-Präsidentschaftswahlkampf als darauf, dass die Firma unrechtmässig an Daten aus Millionen von Facebook-Profilen gelangt war. Daten, die Facebook selbst natürlich stets zur Verfügung hat.

Man muss kein Zyniker sein, um grundsätzliche Zweifel an den durchwegs wohlwollenden Absichten von gewinnorientierten Unternehmen zu haben. Und es sollte auch niemanden wundern, wenn das aus Verhaltensbeobachtung gewonnene Wissen schon bald im grossen Stil zur Prämiengestaltung in Versicherungsangeboten eingesetzt wird. Regulierung könnte Vertrauen zwar ersetzen, hält mit der rasanten Entwicklung der sozialen Medien aber nicht Schritt.

Protokolle und Standards

Die bekannten sozialen Medien profitieren von Netzwerkeffekten, weil sie abgeschlossene Systeme sind, denen man angehört oder eben nicht. Dass dies nicht so sein muss, zeigen Beispiele wie Mobiltelefonie, E-Mail oder das World Wide Web. Kommunikation ist hier jeweils über eine Reihe von Anbietern möglich, weil sie nicht über eine zentrale Plattform, sondern über einen standardisierten Austausch erfolgt.

Das World Wide Web Konsortium (W3C) ist das internationale Gremium für die Weiterentwicklung des Webs und erarbeitet Vorschläge für offene Standards. Dazu gehören auch Protokolle und Formate für den Austausch von Inhalten und Aktivitäten wie sie für soziale Medien üblich sind.

In so genannten föderierten Systemen, die auf offenen Standards basieren, können verschiedene Anbieter Varianten der gleichen Dienste bereitstellen. Unterschiede bestehen dann in den Regeln für den Zugang, das Löschen von Inhalten oder auch für die Mitnahme der eigenen Daten zu einem anderen Anbieter.

So halten Standards sowohl den Marktzugang, als auch die Möglichkeit zum Wechsel des Anbieters offen. Probleme wie etwa Spam und Datensicherheit verschwinden dadurch zwar nicht, liegen aber auch nicht mehr in der Hand eines einzelnen Anbieters.

Alternativen und Akzeptanz

Damit Netzwerkeffekte nun umgekehrt wirken könnten, müsste zunächst einmal eine kritische Masse an Nutzerinnen und Nutzer zu offenen Systemen wechseln. Die derzeit wohl erfolgreichste Software dieser Art ist Mastodon, ein mit Twitter vergleichbarer Dienst, der W3C Standards verwendet. Mastodon-Instanzen haben die gleiche Rolle wie Server für Websites, Wikis oder E-Mail, und seit dem Start 2016 sind mittlerweile einige Tausend in Betrieb. Diese interagieren miteinander genauso wie mit anderen Servern, etwa GNU social. Das föderierte System hat die erste Million Konten längst überschritten.

Ob der Trend hin zu offenen Systemen anhält oder sich in einer Gruppe von Pionieren erschöpft, wird sich zeigen. Zumindest gilt die Ausrede der Alternativlosigkeit nicht mehr.

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