Gemeinsam für den perfekten Zwieback

Die Firma Roland war mit der Qualität ihres glutenfreien Zwiebacks unzufrieden. ETH-Professor Erich Windhab konnte helfen.

Vergrösserte Ansicht: Food Process Engineering
Im ETH-Labor für Food Process Engineering bauten Ingenieure und Mechaniker eine Pilotanlage eines Teigextruders für glutenfreie Backwaren. (Bild: ETH Zürich / Daniel Winkler)

Im Labor von Erich Windhab stehen alle Zeichen auf Prozessentwicklung. «Wir sind komplett für den Prototypenbau ausgerüstet», erzählt der Professor für Nahrungsmittel-Prozessentwicklung. Seine Gruppe betreibt vollausgestattete Werkstätten für Mechanik und Elektronik. Mehrere Handwerker und Ingenieure tüfteln dort an neuen Lösungen für die Lebensmittelindustrie. «Zwei Drittel unserer Projekte finden in enger Zusammenarbeit mit der Industrie statt», erklärt Windhab. «Und rund die Hälfte davon mit KMU.»

Arbeitskreise für Industriekooperationen

Als Windhab 1992 an die ETH berufen wurde, gründete er sogenannte Arbeitskreise, zum Beispiel für die Schokoladeindustrie, für den Konfektionsbereich und für Produzenten von gefrorenen Süssspeisen. Im Rahmen dieser Kreise lädt er bis heute zweimal jährlich Vertreter aus der Industrie an die ETH ein, um neuste Entwicklungen aus seinem Labor zu präsentieren und gleichzeitig von der Industrie zu erfahren, welche Themen den Unternehmern unter den Nägeln brennen. «So sind dutzende Koopera­tionsprojekte entstanden, die uns dank 25 Millionen Franken Forschungsgeldern erlaubten, 20 Doktoranden zu ­beschäftigen und 20 Patente anzumelden», resümiert Windhab.

Auch die Zusammenarbeit zwischen Windhab und dem Schweizer Unternehmer und Bäckermeister Marc-André Cornu nahm ihren Lauf in einem solchen Arbeitskreis. Cornu lud Windhab nach einem Treffen 2013 in seine Fabrik ein. Sein Familienunternehmen Cornu SA im waadtländischen Champagne hatte 2008 «Roland» in Murten gekauft, einen bekannten Produzenten von Knäckebrot, Zwieback, Sticks und Bretzeln. Roland arbeitete damals daran, ein Knäckebrot ohne Gluten auf den Markt zu bringen, um der wachsenden Anzahl Menschen mit Gluten­unverträglichkeit zu entsprechen. Doch Cornu war unzufrieden mit der Qualität der neuen Produkte. Deshalb weckte Windhabs Forschung im Bereich der Mikroschäume sein Interesse.

Teig-Grundlagenforschung

Im Rahmen eines SNF- und EU-Projekts ging Windhabs Gruppe nämlich der Frage nach, ob sich hochviskose Teige aufschäumen und extrudieren lassen. Mit einem Extruder werden dickflüssige Massen unter Druck kontinuierlich aus einer formgebenden Öffnung herausgepresst. Sein Team entwickelte einen solchen für Experimente mit aufgeschäumten Teigen. Mit einem Synchrotron-Röntgen-Tomografen am PSI in Villigen untersuchte es das Strukturierungsverhalten der hochviskosen, elastischen Mikroschäume mit 5 bis 100 Mikrometer grossen Luftbläschen.

«Für den Erfolg eines solchen Projekts braucht 
es einen eisernen Willen, 
ein gemeinsames Ziel und eine gute zwischenmenschliche Beziehung.»  Marc-André Cornu, Unternehmer

Cornu erkannte in dieser Teig-Grundlagenforschung sofort ein Potenzial für die Optimierung seiner glutenfreien Produkte: Gluten ist ein langkettiges Protein, das sich durch mechanische Bearbeitung, zum Beispiel durch Mischen und Kneten, zu elastischen Strängen formen lässt. Diese sorgen dafür, dass die beim Backen expandierenden Dampfblasen in Form einer weitgehend geschlossenen Porenstruktur erhalten bleiben und das Brot damit schön aufgeht. Fehlt Gluten, so platzen die Blasen bereits bei deutlich reduzierter Expansion. Das gebackene Produkt wird nicht hinreichend voluminös und die unregelmässige Porung führt zu einer harten Textur.

Bisher wurde das Problem teilweise durch Zugabe von Emulgatoren und Poly­sacchariden (Dickungsmittel) entschärft. Dies jedoch mit Abstrichen beim Geschmack und beim Beitrag zu einer möglichst natürlichen und gesunden Ernährung. Windhabs Forschung bot eine mögliche Lösung für dieses Dilemma. Im gemeinsamen Gespräch entwickelten Forscher und Unternehmer die Idee, den glutenfreien Teig mit Wind­habs Extruder aufzuschäumen, so dass der Zwieback die erwünschte Schaumstruktur und das Volumen bereits weitgehend vor dem Backen erhält. Der anschliessende Backprozess würde dann nur noch zur Schaumverfestigung und zum Wasserentzug dienen.

Kurze Entscheidungswege

«Cornu ist ein eigenwilliger Unternehmer», sagt Windhab. «Wenn ihm eine Idee nach gründlicher Prüfung gefällt, dann sagt er einfach: ‹Das machen wir!›» Hier liegt für den Forscher der wichtigste Unterschied zu Kooperationen mit Grossunternehmen: «Dort ist die Multiplizierbarkeit einer gemeinsam entwickelten Technologie meist grösser. Dafür sind die Entscheidungswege bei den KMU wesentlich kürzer.»

Windhab und Cornu setzten das Projekt «TopGlu0» auf und reichten dieses bei der KTI (heute Innosuisse) für eine Förderung ein. Der Bund sprach 769 000 Franken für eine dreijährige Forschungszusammenarbeit. Damit baute Windhabs Gruppe 2013 einen ersten Pilot-Extruder mit einem Produktionsvolumen von bis zu 50 Kilogramm mikrogeschäumtem Teig pro Stunde. Danach wurde sie für den Fabrikmassstab aufskaliert. Windhab holte dafür den Schweizer Maschinenbauer «Bühler» ins Boot.

Windhab konnte die Bühler-Manager davon überzeugen, dass der geplante Extruder in der Lebensmitteltechnologie Perspektiven hat, die weit über Roland hinausreichen. Gelänge es mit aufgeschäumten hochviskosen Teigen, glutenfreien Zwieback für Roland zu produzieren, dann stünde auch der Einführung des Verfahrens in den Frischbackwarenmarkt oder anderen Lebensmittelbereichen nichts mehr im Weg. «Eine Innovation zieht meist weitere Kreise», sagt Windhab.

Das entwickelte Extru­sionsverfahren könnte künftig mit weiteren neuen Backverfahren gekoppelt werden, die derzeit an der ETH getestet werden. «Die Backzeiten liessen sich dadurch um mehr als das Fünffache verkürzen.» Das heisst: kürzere Backstras­sen, weniger Energie und tiefere Kosten.

Bühler war überzeugt. 2016 setzten die drei Partner mit «Glu-0-Z-Tec» ein weiteres Innosuisse-Projekt auf, das vom Bund mit rund einer halben Million Franken unterstützt wird. Bühler lieferte dafür zunächst einen Standard-Pasta-Extruder, den Windhabs Techniker für die Herstellung von Mikroschäumen anpassten und erfolgreich testeten. Inzwischen liefert das Verfahren rund 300 Kilogramm Teigdurchsatz pro Stunde. Die Produk­tionsanlage soll im Frühjahr 2019 in der Roland-Fabrik in Betrieb genommen werden.

Zeit für radikale Innovationen

Zwieback
Die Firma Roland will im Markt für glutenfreie Produkte stark wachsen. (Bild: ETH Zürich / Laboratory of Food Process Engineering)  

Von der ersten Forschungsidee im Labor bis zur Betriebseinführung sind acht Jahre vergangen. «Bei radikalen Innovationen ist das eher kurz», sagt Windhab. Für den Unternehmer Cornu hingegen war der zeitliche Umfang des Projekts die grösste Herausforderung, denn der Markt verändert sich kontinuierlich. «Wenn wir Pech haben, gibt es nach sechs Jahren für das Produkt, das wir ursprünglich entwickeln wollten, gar keinen Markt mehr.»

Im aktuellen Fall hatten die Projektpartner hingegen Glück. Die Marktprognosen für glutenfreie Produkte zeigen noch immer steil nach oben. Die Problematik der unterschiedlichen Zeitskalen sei den Kooperationen für radikale Innovation gewissermas­sen inhärent, erklärt Windhab. Zwar würden zu Beginn einer Industriekooperation die gegenseitigen Erwartungen sowie der Ablauf des Projekts und die Milestones klar definiert. «Doch während des Entwicklungsprozesses kommen wir immer wieder an Punkte, an denen wir ursprüngliche Pläne verwerfen und neue Wege einschlagen müssen. Das kostet Zeit.» Doch speziell in Zeiten der Unsicherheit – Windhab nennt sie «Flatliner-Phasen» – zeige sich, ob eine Vertrauensbasis zwischen den Partnern besteht und ob die Chemie stimmt. «Dann muss man sich auch mal auf ein Bier treffen können, um Probleme auszudiskutieren.» Das sieht Cornu ähnlich: «Für den Erfolg eines solchen Projekts braucht es einen eisernen Willen, ein gemeinsames Ziel und vor allem eine gute zwischenmenschliche Beziehung.»

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