Berechnen, was die Erde bewegt

ETH-Fellow Marie Bocher entwickelt am Institut für Geophysik Computermodelle zur Entstehung von Erdbebenzyklen. Die 30-jährige Wissenschaftlerin möchte damit die Vorhersagen für Erdbeben verbessern.

Die Geophysikerin Marie Bocher engagiert sich auch für die Gleichstellung der Geschlechter in der Wissenschaft. (Bild: Florian Bachmann / ETH Zürich)
Die Geophysikerin Marie Bocher engagiert sich auch für die Gleichstellung der Geschlechter in der Wissenschaft. (Bild: Florian Bachmann / ETH Zürich)

Marie Bocher entwickelt mathematische Gleichungen, um besser zu verstehen, was die Welt im wahrsten Sinne des Wortes bewegt: Die Erdwissenschaftlerin möchte besser verstehen, wie Erdbeben  entstehen. Dazu erforscht sie das Zusammenspiel zwischen dem, was unter und über der Erdoberfläche passiert.

«Die Erdoberfläche ist in tektonische Platten unterteilt, die sich konstant mehrere Zentimeter pro Jahr bewegen. Jede Platte besitzt ihre eigene Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung. Dort, wo sie aufeinandertreffen, kommt es zu Verformungen», erläutert die Wissenschaftlerin, die als ETH-Fellow im vergangenen Jahr ans Institut für Geophysik kam.

«An den Plattengrenzen baut sich über die Zeit Druck auf, bis das Gestein nachgibt, oder sich in manchen Fällen in Formseismischer Wellen entlädt.» Wenn diese Wellen die Oberfläche mit genügend Energie erreichten, nehmen wir dies als Erdbeben wahr, so die Forscherin.

Modelle mit Beobachtungen kombinieren

Doch warum bewegen sich die tektonischen Platten überhaupt? Wie bewegen sich die Gesteinsmassen innerhalb des Erdmantels? Und wie lassen sich die Daten zu den physikalischen Eigenschaften der Erdkruste und des Mantels mit geologischen Beobachtungen kombinieren, um die Zusammenhänge zwischen der festen Erde sowie Erdbebenzyklen besser zu verstehen? Auf diese Fragen möchte die 30-jährige Französin Antworten finden. «Meine Arbeit besteht darin, all diese Angaben in einem Modell zu erfassen», beschreibt sie ihre Forschung. Damit will sie Erdbebenrisiken künftig zuverlässiger einschätzen können.

Dafür sitzt die Wissenschaftlerin stundenlang am Schreibtisch und entwickelt Computerprogramme, die seismische und geologische Daten mit einem physikalischen Modell kombinieren. «Zurzeit verbringe ich viel Zeit mit dem Programmieren», sagt sie.

Wie wichtig der Erdwissenschaftlerin die Forschung ist, wird bei einem Gespräch über ihren bisherigen Lebensweg deutlich. Unterstützt wurde sie von ihrer Kindheit an von ihren Eltern. Die Mutter ist Kinderbetreuerin, der Vater Radiologie-Assistent. «Meine Eltern hätten selbst gerne studiert, hatten aber nicht die Möglichkeit dazu. Sie haben mich und meine beiden älteren Geschwister immer darin bestärkt, uns anzustrengen und möglichst viel zu lernen, damit wir am Ende eine akademische Ausbildung machen können».

Ihr Bruder arbeitet heute als Finanzanalyst, ihre Schwester ist Mathematiklehrerin. «Ich erinnere mich, dass ich meiner neun Jahre älteren Schwester dabei zuschaute, wie sie Mathematik studierte und alle diese mysteriösen Symbole niederschrieb. Das hat sicher zu meiner Faszination für Mathematik und der Wissenschaft beigetragen.» Die Schwester war und sei noch immer ihr Vorbild.

Ihr Weg zur Geo-Dynamik

Nach ihrem Baccalauréat im Jahr 2006 besuchte Bocher in Paris drei Jahre lang eine Vorbereitungsschule und belegte dort die Schwerpunkte Biologie, Physik, Chemie, Erdwissenschaften und Mathematik. Dann erhielt sie ein Stipendium, um ihr Studium an der renommierten Hochschule École Normale Supérieure de Lyon (ENS) weiterzuführen und mit dem Master abzuschliessen.

«Zu Beginn wollte ich eigentlich Feldgeologin werden. Nach und nach verschob sich mein Interesse zur Computermodellierung der Dynamik der festen Erde, vor allem dank Professor Nicolas Coltice, der später mein Doktorat mitbetreute». Er brachte sie auch in Kontakt mit der Universität von Sydney. Ein Jahr lang arbeitete sie dort als Forschungsassistentin an einem Projekt zur Modellierung von metamorphen Kernkomplexen, den Gesteinsmassen in der Erdkruste. Anschliessend kehrte sie zurück ans ENS Lyon für ihr zweites Master-Jahr und ihre Doktorarbeit zur Mantelkonvektion und deren Verbindung mit der Plattentektonik, die sie 2016 abschliessen konnte. Seit Oktober 2017 forscht sie an der ETH Zürich. Hier wirkte sie 2011 bereits einige Monate an einem Computermodell über Magma mit.

Ab in die Berge

In ihrer Freizeit zieht es Marie Bocher in die Berge. Aufgewachsen in der Bretagne in einer kleinen Stadt nahe dem Meer, hat die Wissenschaftlerin in den vergangenen Jahren die Alpen für sich entdeckt. Wanderungen, Klettern, Skitouren - Hauptsache raus. Zusammen mit ihrem Partner baut sie gerade einen VW-Bus in einen Campingwagen um. Damit wollen sie am Wochenende einfach irgendwo in die Natur hinausfahren.

Noch bis Herbst 2019 wird sie als ETH-Fellow ihre Forschung in der Seismo-Thermo-Mechanical-Forschungsgruppe am Institut für Geophysik vorantreiben können.

Aktiv gegen Sexismus

Neben der Forschung engagiert sich Marie Bocher auch gesellschaftlich: Sie ist Mitbegründerin des Blogs «externe SeiteDid this really happen?», das sich für mehr Gleichstellung der Geschlechter in der Wissenschaft einsetzt. «Oft ist den Leuten nicht bewusst, dass sie sich sexistisch oder diskriminierend verhalten». Bocher will mit dem Blog das Bewusstsein für den alltäglichen Sexismus in der Wissenschaft schärfen und zu einem Mentalitätswandel beitragen.

Wie ihre Karriere in den kommenden Jahren aussehen soll, weiss sie noch nicht genau. «Als Wissenschaftlerin im derzeit hoch kompetitiven Umfeld der akademischen Forschung lernt man, sich nicht allzu viele Sorgen um das Morgen zu machen und von einem Forschungsprojekt zum nächsten zu planen.» Was Bocher jedoch mit Sicherheit weiss, ist, dass sie ihre Arbeit gerne macht- und solange dies so bleibt, wird sie weiterforschen.

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