Botschafter gegen den Hass

ETH Fellow Kunaal Sharma erforscht die Verbindung zwischen der Politik der Eliten und religiösem Extremismus. In den Krisenherden Südasiens sucht er nach den Ursachen von Konflikten und Wegen zu mehr Toleranz.

Der indischstämmige Amerikaner Kunaal Sharma geht Konflikten und deren Lösungen auf den Grund. (Bild: Florian Bachmann / ETH Zürich)
Der indischstämmige Amerikaner Kunaal Sharma geht Konflikten und deren Lösungen auf den Grund. (Bild: Florian Bachmann / ETH Zürich)

So wie er beim Gespräch in seinem blütenweissen Hemd mit hellgrauer Hose dasitzt, sieht man Kunaal Sharma nur selten bei der Arbeit. Seine Forschung als Politikwissenschaftler am ETH-Institut für Internationale Konfliktforschung klingt zwar nach einem Schreibtischjob, doch tatsächlich forscht er oft vor Ort, beispielsweise mit islamischen Geistlichen in Indien oder in Nairobis Stadtteil Eastleigh, einem berüchtigten Nährboden für Extremismus.

An solchen Orten ergründet Sharma die Ursachen von islamisch geprägtem Extremismus und sucht nach Wegen aus Hass und Gewalt. «Ich möchte herausfinden, warum Religion zu intolerantem und extremistischem Verhalten führt und wie Religion stattdessen helfen könnte, Konflikte zu verhindern.»

Akribische Einsatzplanung

Bei seiner Feldarbeit versucht der Forscher zunächst, die jeweilige Situation zu verstehen, die Menschen kennenzulernen und sich unauffällig vor Ort zu bewegen. Das hilft Vertrauen aufzubauen und schützt ihn zudem vor Überfällen oder gar Entführungen – denn ungefährlich ist die Forschung an potenziellen Krisenherden nicht.

«Ich bin mir der Risiken bewusst», sagt der 29-jährige Amerikaner mit indischen Wurzeln. Auf jeden Aufenthalt bereitet er sich akribisch vor. Oft muss er mehrmals in die Länder reisen, um Gespräche mit einflussreichen politischen Vertretern zu führen und örtliche Projektmitarbeiter auszubilden, bevor er mit der eigentlichen Forschungsarbeit beginnen kann.

Schwerpunkt Indien

Der Schwerpunkt seiner Arbeit liegt auf Südasien und vor allem auf Indien. Hier fällt er aufgrund seiner Herkunft auf den ersten Blick kaum auf. Zudem ist er fliessend in Urdu und Hindi und kann sich auf Persisch verständigen. Selbst in Kenia, wo er zurzeit Projekte am Laufen hat, schützt ihn, dass es in Nairobi eine grosse Gemeinde indischer Einwanderer gibt. «Solange ich nicht spreche und mit Einheimischen unterwegs bin, merkt keiner, dass ich Amerikaner bin».

Die bislang grösste öffentliche Aufmerksamkeit erhielt seine Studie zur Flüchtlingskatastrophe im krisengeschüttelten Grenzgebiet zwischen Syrien und der Türkei. Sharma erforschte dort gemeinsam mit Egor Lazarev, wie sich die Ablehnung der Türken gegenüber syrischen Flüchtlingen verringern und die Bereitschaft, sie zu unterstützen erhöhen, lässt.

Dazu formulierten die beiden Wissenschaftler zuerst verschiedene Botschaften, welche die Gemeinsamkeiten beider Völker unterstrichen und die finanziellen Folgen der Flüchtlingshilfe für die Türkei benannten. Dann konfrontierten die Konfliktforscher verschiedene Gruppen von Türken mit jeweils einer unterschiedlichen Auswahl dieser Botschaften. Bei einer anschliessenden Befragung konnten sie sehen, welche Botschaften welchen Effekt hatten. Das Ergebnis: «Der gemeinsame kulturelle Hintergrund und die Tatsache, dass Syrer und Türken sunnitische Moslems sind, sind die wichtigsten Argumente, um Toleranz und Verständnis für die Flüchtlinge aufzubauen», erklärt Sharma.

Friedensfördernde Botschaften wirken

Für ihn persönlich am wichtigsten waren allerdings die Ergebnisse, die ein Teilbereich seiner Dissertation über Extremismus unter Sunniten und Schiiten in Nordindien ergab. Diese Forschung führte er in Lucknow (Lakhnau), der Hauptstadt von Indiens bevölkerungsreichstem Bundesstaat Uttar Pradesh, durch. Sharma wolle herausfinden, wie friedensfördernde Botschaften von religiösen Führern den Extremismus unter muslimischen Jugendlichen beeinflusst.

Dazu überzeugte der Forscher lokale Geistliche, friedenstiftende Audiobotschaften aufzuzeichnen, die sich an die jeweils andere religiöse Gruppierung richteten. Dann beauftragte er zufällig auswählte junge sunnitische und schiitische Männer, sich die Botschaften des Geistlichen der einen Gruppe oder anderen Gruppe oder von beiden anzuhören. Zum Vergleich mussten sich einige der jungen Männer keine der Botschaften anhören.

Das erstaunliche Resultat: Die Botschaften der sunnitischen Geistlichen veränderte das extremistische Verhalten der sunnitischen jungen Männer deutlich, die Botschaften der schiitischen Kleriker hingegen hatten keinen Einfluss auf das Verhalten der schiitischen Jugendlichen. «Von einer starken Position ausgehend, waren die Sunniten gewillt, sich die Friedensbotschaften anzuhören. Die in der Opferhaltung verharrenden Schiiten hingegen wollten sich die Botschaften nicht anhören», erklärt Sharma.

Mit ETH-Stipendium weiterforschen

Um weiter zu erforschen, welche Rolle die Religion bei Konflikten spielt, bewarb sich Sharma 2017 erfolgreich um ein ETH Fellowship-Stipendium. «Als ETH Fellow habe ich für zwei Jahre eine sehr gute finanzielle Ausstattung und kann zudem mit ETH-Professor Lars-Erik Cedermann, einem führenden Experten in Sachen ethnischen Konflikten, zusammenarbeiten». Cedermann erforscht vor allem die Muster von Bürgerkriegen in verschiedenen Ländern. Dies ergänze seinen eigenen Ansatz, der sich auf Gruppen und Individuen konzentriere, sehr gut.

Der Wechsel nach Zürich fiel Sharma leicht. «Ich war während meines Bachelor-Studiums ein Jahr in Oxford; im Graduiertenkolleg waren viele meiner engsten Freunde Europäer», sagt der Wissenschaftler, der in Long Island, New York, als mittlerer von drei Brüdern zur Welt kam. Neben seiner Offenheit für andere Kulturen zeichnen ihn eine klare Vision und sein Fleiss aus. «Ich stamme aus einer Familie, die in mancher Hinsicht dem Clichée der hart arbeitenden Indo-Amerikaner-Familie entspricht», sagt er und zeichnet an die Tafel in seinem Büro die Schritte seiner beruflichen Laufbahn.

Protest gegen Irakkrieg prägte Studienwahl

Er war ein naturwissenschaftlich begabter Schüler, der auch im Debattierclub seiner Schule reüssierte und Freude an Gesellschaftsthemen hatte. So schwankte er lange zwischen Medizin, Recht und Politik. Geprägt durch die Proteste gegen den zweiten Irakkrieg in den 2000er Jahren wählte er dann Politikwissenschaften.

Sharma, der seinen Glauben als Hindu moderat und säkular lebt, wollte die Ursachen für islamischen Extremismus verstehen. «Ich interessierte mich für die Zusammenhänge zwischen Religion und Terror, weil sie Gesellschaften spalten und unschuldigen Menschen viel Leid bringen.» Bei Praktika in Washington D.C. begann er sich für die praktische Anwendung seiner Forschung zu interessieren. Heute wird er häufig eingeladen, um seine Forschung Entscheidungsträgern zu präsentieren. Er berät zudem diverse Organisationen, wie gewalttätiger Extremismus verringert werden kann.

Praktischer Nutzen als Treiber

«Eine wichtige Motivation für meine Forschung ist, dass ich an etwas arbeite, das praktischen Nutzen hat», erklärt Sharma. Indem er sich in die Politik und die Konfliktforschung einbringe, hoffe er, den Beitrag von indischstämmigen Amerikanern über medizinische und wissenschaftliche Berufe hinaus auszuweiten. «Ich möchte mit meiner Forschung die Sicherheit in Amerika und in der Welt verbessern.» Daher arbeitete er auch zwei Jahre lang für die US-amerikanische Denkfabrik «Council on Foreign Relations», die sich auf aussenpolitische Themen spezialisiert hat, bevor er 2012 sein Doktorat begann.

Für seine Zukunft wünscht er sich eine Fortsetzung seiner akademischen Karriere. Allerdings reichen ihm Forschung und Vorlesungen allein nicht. Sollte sich keine Professur ergeben, kann er sich auch vorstellen, wieder für eine Denkfabrik oder für eine Nichtregierungsorganisation zu arbeiten. Sicher ist, dass er jeden Weg genauso strukturiert gehen und gestalten wird wie seinen bisherigen, den er an die Tafel seines Büros gezeichnet hat.

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