«Blockchain ist ein Hype»

ETH-Professor Roger Wattenhofer über Blockchain, Bitcoin und was die Digitalisierung mit unserer Gesellschaft anstellen könnte.

Vergrösserte Ansicht: Roger Wattenhofer, Professor für Verteilte Systeme, denkt, dass nicht Blockchain unser Leben umkrempeln wird, sondern die Digitalisierung als Ganzes. (Bild: ETH Zürich)
Roger Wattenhofer, Professor für Verteilte Systeme, denkt, dass nicht Blockchain unser Leben umkrempeln wird, sondern die Digitalisierung als Ganzes. (Bild: ETH Zürich)

ETH-News: Sie haben Vorbehalte angemeldet, als das Thema Blockchain für dieses Interview gewählt wurde. Weshalb?
Roger Wattenhofer: Das Thema ist spannend, aber um den Begriff Blockchain besteht ein etwas übertriebener Hype. Ich erhalte täglich von allen Seiten Anfragen dazu, von Medien, Privaten und Firmen. Ich war als Professor noch nie so populär (schmunzelt).

Wenn man im Internet Informationen darüber sucht, bekommt man den Eindruck, dass Blockchain unsere Welt auf den Kopf stellen wird. Wird das Thema überbewertet?
Ja, momentan schon, aber das legt sich wieder. Die Blockchain beinhaltet einige wichtige technische Entdeckungen, insbesondere die Gebiete Verteilte Systeme und Kryptographie. Ich vermute, dass viele Leute erst durch den Blockchain-Hype auf heutige technische Möglichkeiten aufmerksam werden. Das Konzept digitaler Unterschriften zum Beispiel gelangt auch über den Begriff Blockchain in die Öffentlichkeit.

Trotzdem erhält man als Laie den Eindruck, dass man auf diesen Zug aufspringen sollte, ehe es zu spät ist.
Einen Teil der Popularität verdanken die Blockchains der Aufregung um Bitcoin. Bitcoin ist wichtig; Kryptowährungen werden die Welt verändern, davon bin ich überzeugt.

Wie funktioniert eine Blockchain?
Der Begriff wird auf unterschiedliche Arten gebraucht. Die einen verstehen den Begriff Blockchain in einem engeren Sinn, als Werkzeug für Bitcoin, also als eine Art Internet-Bank, um virtuell Geld zu überweisen und zu speichern. Eine weiter gefasste Definition für eine Blockchain ist, dass es sich dabei um eine digitale Buchhaltung handelt. In einer «Block-Kette» können alle möglichen Transaktionen – zum Beispiel Geldüberweisungen, Heiratsurkunden, Handänderungen bei Grundstücken und so weiter – aufgeführt und fehlertolerant gespeichert werden.

Was ist der Vorteil davon?
Eine Bitcoin-Blockchain ist «glasnost». Alle können nachverfolgen, welche Transaktionen wann vorgenommen wurden. Wer hingegen hinter den Transaktionen steckt, ist verschlüsselt. Eine Blockchain bietet also die interessante Möglichkeit, eine Verwaltung transparent zu machen.

Und dieses System ist hieb- und stichfest?
Ich sage gerne: «Don’t bring a blockchain to a gun fight». In einer völlig anarchischen Welt wird sich der Stärkere durchsetzen, mit oder ohne Blockchain.

Seit wann gibt es diese Technologie?
Eigentlich ist es eine alte Geschichte. Eine Blockchain basiert auf Verteilten Systemen und Kryptographie, beides Themen mit viel Tradition und entsprechenden Turing-Awards. Die Kombination der beiden Themen gibt es auch schon seit 25 Jahren. Neu ist der Bitcoin-Hype. Durch Bitcoin stossen viele Leute auf den Begriff Blockchain.

Mir scheint, dass es doch nicht etwas ist für jedermann und jedes und alles. Wem nützt es, wer nutzt es?
Das ist nicht so klar. Für Bitcoin gibt es momentan wohl zwei Hauptnutzergruppen: Die Mehrheit spekuliert mit Bitcoin und investiert in diese Kryptowährung. Sie hofft, dass deren Wert weiter steigt. Andere nutzen Bitcoin, um unsaubere Geschäfte abzuwickeln. Dazu zählen Steuerhinterziehung, Waffen- und Drogenhandel, Lösegeldforderungen. Für die Unterwelt ist Bitcoin das perfekte Werkzeug, um unerkannt Geschäfte abzuwickeln.

Wie wird sich das System entwickeln?
Bitcoin oder andere Kryptowährungen werden sicher wichtiger. Bitcoin ist eine sehr dezentrale und unkontrollierte Form einer Kryptowährung. Der Wert eines Bitcoins wird nicht von einer Nationalbank beeinflusst, sondern nur vom Markt, vom Vertrauen der Benutzer in ihre Währung. Bitcoin ist es egal, wie hoch die Teuerung oder die Arbeitslosigkeit ist. Nationalbanken versuchen die Teuerung mittels Geldpolitik zu steuern. Bitcoin und andere Kryptowährungen sind noch Nischenprodukte. Wenn sie wirklich wichtig wären, müssten sich Nationalbanken was einfallen lassen.

Was ist die Alternative?
Ich bin überzeugt, dass die Nationalbanken eigene Kryptowährungen ausgeben werden, etwa ein elektronisches Englisches Pfund. Elektronische Schweizer Franken wird es vermutlich nicht so schnell geben; ich habe den Eindruck, dass die Schweizer Nationalbank etwas konservativ ist – obwohl gerade in der Schweiz viel Knowhow vorhanden wäre. An der ETH Zürich etwa gibt es einige Professoren, die sich gut mit dem Thema auskennen; die ETH Zürich wurde kürzlich sogar zur «top research institution on blockchain technology» gekürt. Mit einem elektronischen Schweizer Franken könnte man künftig Verträge rein digital aufsetzen. Das würde viele juristische Konzepte vereinfachen, beschleunigen und verbessern, weil man sich mathematisch präziser ausdrücken kann als sprachlich. Der Anwalt der Zukunft sollte programmieren lernen (schmunzelt).

Braucht es dann noch Banker?
Auch dieses Berufsbild wird sich verändern. Ich persönlich glaube, dass die Digitalisierung in Zukunft viele Berufe verändert, viele Jobs wird es nicht mehr brauchen. Überall dort, wo Maschinen die Arbeit besser machen als der Mensch, werden Arbeitsplätze verschwinden. Die Blockchain ist nur ein Aspekt dieser Digitalisierung, es gibt viele andere Aspekte. Mich interessiert: Wie funktioniert die Gesellschaft, wenn künftig nur noch ein Drittel der Menschen Arbeit hat?

Halten Sie die aktuelle Vollbeschäftigung für ein Auslaufmodell?
Ja, Vollbeschäftigung ist passé. Ich bin überrascht, dass dies von der Politik nicht stärker thematisiert wird. Die Politik behauptet einfach, es gäbe dann genug neue Jobs. Da bin ich mir nicht so sicher.

Das wird interessant – oder erschreckend?
Es wird interessant. Die Politik sollte den Sozialstaat der Zukunft diskutieren. Was steht Menschen in der Schweiz zu, gibt es ein Grundeinkommen? Und falls ja, was beinhaltet dieses Grundeinkommen? Und wie wird dieses Grundeinkommen finanziert? Über den Staatshaushalt mit weiteren Steuern oder via Geldschöpfung über die Nationalbank?

Was ist für Sie der Horizont der Digitalisierung?
Die Welle rollt warscheinlich schon, aber das ist nicht gut sichtbar. Die Schweiz ist bereits ein Hightechland; sie ist seit der Finanzkrise wirtschaftlich noch stärker geworden. Wir merken noch nicht so viel von der Digitalisierung. Es ist eher so, dass weitere Hightech-Arbeitsplätze in der Schweiz entstehen, zum Beispiel bei Google. Aber in Ländern wie Spanien und Griechenland ist die Krise auf dem Arbeitsmarkt bereits Realität. Diese Länder spüren schon, wie sich eine hohe Arbeitslosigkeit auf den Alltag und die Gesellschaft auswirkt.

Sind das nicht einfach diffuse Ängste?
Ich glaube nicht. Es gibt da verschiedene Indizien. Ein Beispiel ist die Lohnquote, also der Lohnanteil am Umsatz, die seit 25 Jahren sinkt. Ein anderes Beispiel ist die Arbeitslosigkeit. Die offizielle Arbeitslosenquote misst ja nicht die wirkliche Arbeitslosigkeit, sondern eher die «neue» Arbeitslosigkeit. Ein alternatives Mass ist die sogenannte Erwerbsbeteiligung. Diese gibt an, wie viele Menschen im Erwerbsalter einer bezahlten Arbeit nachgehen. In der Schweiz ist diese Rate hoch und ausgesprochen stabil. Aber weltweit sinkt sie; nur langsam, aber dafür kontinuierlich, ebenfalls seit 25 Jahren! Dafür gibt es viele Gründe, zum Beispiel die ansteigende Lebenserwartung. Ich glaube aber, dass sinkende Lohnquote und Erwerbsbeteiligung wenigstens teilweise Indizien der Digitalisierung sind.

Zur Person

Roger Wattenhofer (Jahrgang 1969) ist seit 2001 Professor für Verteilte Systeme am Departement Informationstechnologie und Elektrotechnik der ETH Zürich. Er interessiert sich seit rund fünf Jahren für Bitcoin und die Blockchain. Er hat zum Thema das Buch «Distributed Ledger Technology» veröffentlicht.

Schwerpunktthema Daten

Daten spielen in unserer Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle. Die ETH Zürich wird sich deshalb in den kommenden Jahren vertieft mit diesem Themenschwerpunkt befassen. ETH News zeigt in einer Serie von Interviews exemplarisch auf, mit welchen Themen sich Forschende der ETH Zürich konkret befassen und wie sie die gesellschaftliche Entwicklung in ihrem Bereich einschätzen.

Bisherige Beiträge in dieser Serie:
- Lino Guzzella: «Diese Chance müssen wir packen» (ETH-News 20.06.2017)
- Srdjan Capkun: «Es ist immer ein Kompromiss» (ETH-News 19.07.2017)
- Joachim Buhmann «Die Medizin wird modellgetrieben» (ETH-News 28.08.2017)

JavaScript wurde auf Ihrem Browser deaktiviert